‘ITS ABOUT PAINTING’
2022

by MAGDALENA WISNIOWSKA

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Danke Susanne für Deine Einladung. Ich freue mich sehr, heute Abend hier zu sein, um über Deine Arbeit zu sprechen. Aber ich muss auch sagen, dass es mir nicht leicht gefallen ist, nicht nur weil ich deine Arbeit bis heute noch nicht persönlich gesehen habe. Ich denke auch, dass Deine Arbeit, obwohl sie sehr klar und einfach aussieht, nicht so leicht zu besprechen ist.

Auf den ersten Blick, sehen die Bilder von Susanne Jung einfach aus, direkt. Ein Quadrat in einer Farbe, ein Rechteck in einer anderen. Einige horizontale Streifen, die übereinander liegen. Sanfte Farben. Klare Linien und Kanten. Es gibt nichts Verstecktes, alles ist für uns sichtbar und verständlich.

Vor 60 Jahren hätte Clement Greenberg - der sehr einflussreiche amerikanische Kritiker - die Bilder als "flat" bezeichnet. Greenberg definierte den Modernismus als selbstkritisch. Das bedeutet, dass jede moderne Disziplin ihre eigenen Begriffe definieren musste, auch die Kunst und die Malerei. Die Malerei musste zeigen, was sie einzigartig machte, was nur ihr selbst eigen war.  Für Greenberg war dies die flache Oberfläche, die Form des Holzes oder der Leinwand und die Eigenschaften des Pigments. All dies waren die Aspekte der Malerei, die die alten Meister in ihren illusionistischen Werken zu verbergen suchten. Im Gegensatz dazu bezeichnete Greenberg die gesamte Malerei der Moderne seit Manet als  “frank” oder auf Deutsch "offen".   Sie versteckten nicht die Oberflächen, auf denen sie gemalt wurden - das Auge hatte keinen Zweifel daran, dass die verwendeten Farben aus echten Töpfen oder Tuben stammten. Susanne Jungs Werk ist modernistisch in diesem offenen Sinne.

Ich weiß nicht, wie es euch scheint, aber für mich sind die Bilder hier nicht "flat". Je länger ich sie betrachte, desto mehr Tiefe steckt in dem, was auf den ersten Blick wie eine einfache quadratische Form aussieht, umgeben von einem kontrastreichen Rahmen. Alle Bilder von Susanne Jungs sind sehr sorgfältig konstruiert. Außerdem sind sie je nach verwendetem Medium unterschiedlich konstruiert. Die Ölgemälde bestehen in der Regel aus einer Reihe horizontaler Streifen, die zu einem Quadrat gruppiert sind. Die Farben sind sorgfältig ausgewählt und werden vorgemischt aufgetragen. Gelegentlich verwendet die Künstlerin mehrere Glasuren, um den richtigen Farbton zu erreichen, was dem Werk seine Lebendigkeit, Kohärenz und Tiefe verleiht. Ich finde die Acrylbilder besonders interessant. Auf einer Seite, sind sie auf Holz gemalt. Dieser Malgrund ist dick und fest. Auf der anderen Seite sind die Kanten der Bilder abgeschrägt - 45 Grad geschnitten - was den Gemälden eine Leichtigkeit verleiht, als ob sie über der Wand schweben würden. Ähnlich scheint das Quadrat in der Mitte über dem Untergrund zu schwimmen. Was wie ein von einem Rahmen umgebenes Quadrat aussehen mag, besteht aus einer Reihe sehr dünner Schichten auf einer Grundfarbe. Die vielen Schichten der Malerei ziehen den Blick an. Wir betrachten das Werk von außen nach innen. Doch statt sich selbst im Rahmen zu sehen, wie in einem Spiegel, sehen wir nur die Oberfläche, die völlig matt ist.



In unserer westlichen Kultur neigen wir dazu, alle Gemälde, einschließlich der von Greenberg beschriebenen abstrakten Werke der Moderne, als Porträts oder Spiegel zu betrachten. Sie sind Fenster zu einer anderen Welt, und wir können gelegentlich unser Spiegelbild im Glas sehen. Wir erwarten fast, dass wir ein Gesicht sehen, das zurückschaut. Aus diesem Grund malten viele modernistische Künstler wie Jackson Pollock nicht vertikal an der Wand, sondern horizontal auf dem Boden. Wie ein anderer amerikanischer Kritiker, Harold Rosenberg, anmerkt, wurde die Leinwand in der modernistischen Malerei zu einer Arena, in der man agieren konnte.  Während Pollock seine Leinwand noch an die Wand heftete, bevor er seine Entscheidungen über ein Bild traf, brach das spätere postmoderne Werk mit dieser Beziehung zur vertikalen, aufrechten menschlichen Haltung.  Wir haben uns daran gewöhnt, die Malerei als "horizontal flatbed" zu betrachten, auf dem, ähnlich wie bei Apps auf einem iPhone oder iPad, verschiedene Objekte angeordnet werden können.

Susanne Jung verwendet in ihrer Arbeit sowohl den vertikalen als auch den horizontalen Ansatz. Wir betrachten ihre langen Arbeiten auf Holz, während wir durch den Raum gehen. Die Linien ziehen an uns vorbei wie die Bäume, die man von einem Zug aus sieht. Andere Arbeiten, bei denen sie ein quadratisches Stück Seide aufklebt, bevor sie es mit Farbe bedeckt, wirken eher wie ein horizontales Flachbett, ein Bildschirm, auf dem sich die Dinge abspielen. Aber am interessantesten finde ich, dass sie ihre Arbeit als "Körper" bezeichnet. Ein Körper ist nicht wie ein Gesicht. Wenn wir ein Gesicht anschauen, schaut es uns zurück, und wir sehen uns gegenseitig. Einen Körper sehen wir anders an - oder vielleicht sehen wir ihn gar nicht an. Wir begegnen einem Körper - und stoßen vielleicht sogar mit einem Körper zusammen. Ein Körper hat Einfluss auf uns, aber wir können nicht sicher sein, dass wir Einfluss auf ihn haben.

Ein Körper - wie die Körper in Susanne Jungs Bildern - hat eine Materialität, eine physische Präsenz. Er ist auch ein bisschen fremd, ungewohnt. Auch hier finde ich es wichtig, dass einer der größten Einflüsse von Susanne Jung die Wandmalereien in buddhistischen Höhlentempeln entlang der Seidenstraße in China sind: in der Turban-Oase die Bezelik-Höhlen, in Duhuang die Mogul-Höhlen, die Kizil-Höhlen bei Kucqa, die Westlichen Tausend-Budda-Höhlen in der Dang He Schlucht und die Yulin-Grotten. Trotz ihres modernistischen, abstrakten Vokabulars haben die Bilder von Susanne Jung etwas sehr Unwestliches, als kämen sie von einem anderen Ort, vielleicht sogar aus einer anderen Welt. Deshalb können wir uns auch nicht in ihnen wiedererkennen. Wir - unsere Kultur, Gesellschaft, Politik und unsere Probleme - werden weniger wichtig. Ihr Werk ist unabhängig, es steht für sich allein.

Bevor ich schließe, möchte ich noch die Sonderedition erwähnen, die Susanne Jung für diese Ausstellung gemacht hat und die zum Verkauf steht. Es handelt sich um eine Serie von Siebdrucken, die lose auf Zeichnungen von Teppichmustern von Sonia Delaunay aus den 1930er Jahren basiert, die sich derzeit im Kupferstichkabinett in Berlin befinden. In diesem Werk verwendet Susanne Jung erneut eine abstrakte Sprache der Moderne und macht sie sich zu eigen. Diagonal geteilt, besteht eine Hälfte des Bildes aus kreisförmigen Farbbändern, die andere Hälfte aus Text. Auch hier ist die Art und Weise, wie sich die Farben überlagern und miteinander spielen, wichtig, ebenso wie die mit ihnen verbundenen Wörter. Ich übergebe nun an Susanne, die ein wenig mehr über die Sonderedition erzählen wird, insbesondere über die Art und Weise, wie sie hergestellt worden ist.

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit und wünsche Euch viel Spaß mit der Ausstellung.

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